Lebenskraft, Wachstum und Segen
Dritte Kulturandacht in der Basilika St. Clemens
Dritte Kulturandacht in der Basilika St. Clemens mit ausdrucksstarken Bildern und einfühlsamen Geschichten – und Musik in allen Stimmungslagen.
Es ist eines der viel zitierten Verse aus der Bibel – das Gleichnis vom Senfkorn, über das das Matthäusevangelium berichtet (13, 31-32). Aus dem kleinsten Samenkorn wird der größte Baum, in dem die Vögel des Himmels nisten. So ist es, sagt Jesus, auch mit dem Himmelreich.
Nun ist ein Baum bei der dritten Kulturandacht in der Basilika St. Clemens zu sehen. Als Foto, projiziert auf die Rückwand des Altars vor der Orgel. Ein Bild der Fotografikkünstlerin Kwanho Yuh. Schwarz-weiß. Ohne Blätter. Ein winterlich anmutendes Bild. Ein Baum ohne Kraft. Doch im Verlauf der Andacht lässt Kwanho Yuh, 1962 im südkoreanischen Seoul geboren und seit 1990 in Hannover lebend, den Baum grün werden. Ein Hoffnungshorizont. Wie beim Senfkorn, aus dem der größte Baum wächst. Für Christ*innen ein Zeichen für Lebenskraft, Wachstum und Segen.
Künstler*innen als Regenwürmer
Lebenskraft, Wachstum und Segen – das sind für Kwanho Yuh auch zentrale Elemente ihres künstlerischen Schaffens. Zu finden auch in ihrer Lebensgeschichte, wie sie in der Andacht erzählt: „Ungefähr vor zwanzig Jahren haben mich unsere Kinder gefragt, warum mein Mann und ich Künstler*innen geworden sind.“ Sie kann nicht mehr nachvollziehen, aus welchen Anlass sie mit der Frage konfrontiert wurde.
Doch was darauf antworten, zumal offenkundig der elterliche Beruf so ungewöhnlich aus Kinderaugen ist? „Das hat mich zum Nachdenken gebracht“, berichtet Kwanho Yuh und verweist auf den Garten der Großmutter. Viele bunte Blumen, gute lockere Erde – für die es versteckte, nur manchmal sichtbare Arbeiter*innen gibt: Regenwürmer. Gewissermaßen versteht Kwanho Yuh ihre Motivation so: „Wenn unsere Gesellschaft ein Garten wäre, seid ihr Kinder die bunten Blumen. Und Künstler*innen wie Mama und Papa sind die Regenwürmer.“ Kunst als Humus für eine gute Gesellschaft. Mit Lebenskraft zum Wachstum und dann zum Segen werden. Da haben Kunst und Religion eine große Nähe.
Verstörend wie schützend
Wie bei der Frage des Umgangs mit der Pandemie, mit der Zerbrechlichkeit von Seele und Persönlichkeit – die Leitfrage der Kulturandachten: „How fragile wie are …“. Kwanho Yuh drückt ihre Antwort in Fotografien aus. Die Motive zeigen sie selbst, in schwarz-weiß, verschleiert, verfremdet, zerlegt. Eine Form, die Doppeldeutigkeit erzeugt: gleichzeitig verstörend wie schützend. Widersprüchlich. Wie die Erfahrungen in der Pandemie.
Die Ausdruckstärke und das Einfühlungsvermögen in den Bildern und Worten von Kwanho Yuh spiegelt sich auch in der Musik wieder – im Gesang ihrer Tochter Sara Zwingmann, begleitet vom Pianisten Nicolai Krügel. Schubert, Brahms und Fauré sind zu hören. „Mir war sehr wichtig vom Charakter ganz verschiedene Lieder mit in das Programm zu nehmen, um viele Angebote, auch von der Stimmung her, zu machen“, erläutert die 1994 in Hannover geborene Mezzosopranistin, die unter anderem Bundespreisträgerin des Wettbewerbs „Jugend musiziert“ ist: „Manche Stücke berühren durch ihre scheinbare Schlichtheit, der Fauré hingegen braust plötzlich auf und wirkt überrumpelnd.“
Vor allen war es bei der Auswahl der Stücke ein Anliegen, sie mit den Wortbeiträgen und Kurzgeschichten ihrer Mutter zu verweben: „Jedes Lied, jeder Block sollte sowohl gut für sich alleine stehen können als auch den Gedanken einer Kurzgeschichte aufgreifen, sodass sich möglichst ein großes Ganzes ergibt.“ Ein Ganzes, dass sich aus Lebenskraft, Wachstum und Segen ergibt, aus dem kleinen Senfkorn. Kunst als Humus für eine gute Gesellschaft.
Die weiteren Andachten:
- Jazzklänge mit dem Kontrabassisten Johannes Keller setzen die musikalischen Akzente in der Andacht am Mittwoch, 7. Juli. Der Wortbeitrag kommt von Professorin Susanne Rode-Breymann, der Direktorin der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH).
- Die Abschlussandacht vor den Sommerferien am Mittwoch, 21. Juli wird musikalisch von „Cream Flow“ mit den Musiker*innen Agnes Hapsari und Pit Schwaar gestaltet, den textlichen Impuls gibt Jörg Breiding, Professor an der Essener Folkwang-Hochschule und Leiter des Knabenchors Hannover. Beginn ist immer um 19:30 Uhr.
Eine Anmeldung ist aufgrund der geltenden Infektionsschutzmaßnahmen erforderlich – entweder unter Telefon 0511/1640520 oder per E-Mail: propstei(ät)kath-kirche-hannover.de. Es stehen in der Basilika 38 Einzelplätze zur Verfügung, bei gemeinsamen Haushalten entsprechend mehr. Die Kulturandachten werden von der Stiftung „Kirche sein – Region Hannover“ finanziell unterstützt
Rüdiger Wala