„Diese Schicksale machen sprachlos“
Bischof besucht ukrainische Gemeinde und Notunterkünfte für Flüchtlinge in Hannover
Bereits zum zweiten Mal nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine hat Bischof Heiner Wilmer die ukrainisch griechische Gemeinde St. Wolodymyr in Hannover-Misburg besucht - und im Anschluss erstmals die Notunterkünfte auf dem Messegelände.
„Es war mir ein dringendes Bedürfnis, unsere ukrainischen Schwestern und Brüder wieder zu besuchen und mit Ihnen Gottesdienst zu feiern", betonte Wilmer. Dass der Krieg in der Ukraine andauere, sei eine Katastrophe, so der Bischof im Gottesdienst. Immer mehr Menschen müssen aus der Ukraine fliehen, oft bleiben Angehörige zurück: „Eine für alle ganz furchtbare Situation.“
Wilmer sprach der Gemeinde St. Wolodymyr seine aufrichtige Dankbarkeit für ihr Engagement aus: „Sie senden Hilfslieferungen in die Ukraine, sie kümmern sich um die Menschen, die hierherkommen, sie halten den Kontakt zu den Lieben in der Ukraine aufrecht.“ Und: „Sie beten – dieses Gebet verbindet uns.“
Der Hildesheimer Bischof ist sich sicher: „Dieses Gebet ist stärker als der Krieg.“ Das Einstehen füreinander, die Sorge umeinander werde Früchte tragen. Bereits jetzt werden im ganzen Bistum Hildesheim Menschen aus der Ukraine willkommen geheißen. In vielen Pfarrhäusern, in einem ehemaligen Bildungshaus in Germershausen, in Privatunterkünften finden sie ein Dach über dem Kopf – auch auf dem Domhof in Hildesheim. Aber es sind nicht ausschließlich Unterkünfte mit denen geholfen wird: Deutschkurse werden angeboten, Begegnungen organisiert, die Pfarreien arbeiten mit den Kommunen zusammen, um den Geflohenen sofort Hilfe zukommen zu lassen: „Schülerinnen und Schüler kümmern sich um die neuen Mitschüler aus der Ukraine.“
Es sei entscheidend, jetzt zusammenzuhalten: „Das wird die Situation für alle leichter machen.“ Auch im Gebet: „Denn so können wir uns von Gottes Kraft aufrichten lassen.“ Für Pfarrer Roman Maksymtsiv, den Seelsorger von St. Wolodymyr, war der Besuch mehr als nur ein Zeichen der Ermutigung: „Er zeigt, dass wir nicht allein sind, mit unserer Sorge und unseren Ängsten.“ Die große Hilfsbereitschaft war und ist für die Gemeinde überwältigend: „Unsere Kirche ist ein Lager für Hilfsgüter geworden.“ Das sei für ihn ein Anlass zum Dank.
Zusammen mit Maksymtsiv und seiner Frau Mariya besuchte Wilmer in Anschluss an den Gottesdienst die Notquartiere für Geflüchtete auf dem Messegelände in Hannover. „Wir kümmern uns hier gerade um Frauen und Kinder, die auf der Flucht ein besonderes schweres Schicksal erleiden müssen“, sagt Mariya Maksymtsiv, die in den Quartieren auch als Dolmetscherin tätig ist. Wilmer kam mit zwei Familien ins Gespräch. Eine Mutter brachte auf der Flucht kurz vor der polnischen Grenze ihr fünftes Kind zu Welt. Eine weitere Familie – Großmutter, Mutter, zwei Töchter mit insgesamt vier kleinen Kindern im Alter von drei bis acht Jahren – schlug sich über die Slowakei und Tschechien bis nach Hannover durch. Hier verstarb die Großmutter. Beide Familien haben Ehemänner und Angehörigen in der Ukraine zurückgelassen. „Diese Schicksale machen sprachlos“, bekannte Wilmer.
Doch sie zeigen für den Hildesheimer Bischof auch, dass der Krieg gegen die Ukraine nicht nur ein regionaler Konflikt sei, sondern einen Angriff auf die Grundlagen des Zusammenlebens in Europa sowie des Völkerrechts darstelle. Entsprechend bedürfe es grundlegender politischer Reaktionen. Die praktische Solidarität mit der Ukraine umfasse neben der Unterstützung der Flüchtenden auch Beiträge zur Verteidigung der Ukraine durch kluge Waffenlieferungen. „Es gilt, die russische Aggression so schnell wie möglich zu stoppen und Voraussetzungen für erfolgversprechende Verhandlungen zu schaffen“, betonte Wilmer. Er ist Vorsitzender der deutschen Kommission Justitia et Pax, die am Wochenende in einer Erklärung ein „starkes Sanktionsregime“ gegen Russland gefordert hat.