Wie Hilfe gewebt wird …
Ehrenamtspreis Misburg-Anderten für Julia Kasper
Wie bringt man Geflüchtete aus der Ukraine unter? Julia Kasper hat zusammen mit der ukrainischen Gemeinde St. Wolodymyr zahlreiche Unterkünfte organsiert. Dafür hat ihr der Stadtbezirksrats Misburg-Anderten in Hannover jetzt den Ehrenamtspreis für 2022 zuerkannt.
Deutschland hat mehr als eine Million Ukrainer*innen aufgenommen – so viele Geflüchtete wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. In Niedersachsen sind es gut 110 000 aus dem Land, das vor einem Jahr von Russland überfallen und angegriffen wurde. In den ersten sechs Monaten nach dem russischen Einmarsch am 24. Februar kamen besonders viele von ihnen.
Notunterkünfte wie in den Hannoverschen Messehallen wurden geschaffen, Städte und Landkreise versuchten und versuchen immer noch Geflüchtete so schnell wie möglich und so gut wie möglich unterzubringen – in Gemeinschaftsunterkünften, in angemieteten Hotels und Pensionen sowie in privaten Wohnungen und Häusern.
Aber wie bringt man ukrainische Flüchtlinge konkret unter? Menschen, die gerade alles verloren haben, die in Angst sind um die, die sie zurücklassen müssen? Und das mit allen behördlichen Anforderungen für Krankenversicherung, Aufenthaltsrecht und Mietvertrag? „Mit guten Netzwerken“, sagt Julia Kasper. Die 61-Jährige hat sich mit Kriegsbeginn in der griechisch-katholischen ukrainischen Gemeinde St. Wolodymyr sich um Erstunterkünfte für Geflüchtete bemüht. Ein Engagement, das jetzt dem Stadtbezirksrats Misburg-Anderten in Hannover der Ehrenamtspreis 2022 wert war. St. Wolodymyr liegt im Stadtteil, die Gemeinde hat Julia Kasper auch für den Preis vorgeschlagen.
„Sie waren gerade in der Hochphase, als schnell Hilfe geleistet werden musste, rund um die Uhr im Einsatz“ würdigt Bezirksbürgermeister Klaus Tegeder die Verdienste von Julia Kasper: die Suche nach Wohnungen, Kontakte zu Behörden, das Finden von medizinischer, seelsorglicher und psychologischer Hilfe – all das habe Julia Kasper vermittelt: „Vor allem alten, kranken und schwachen Flüchtlingen wurde damit Gutes getan“, betont Tegeder bei der Preisverleihung.
„Gerade für die Geflüchteten, die es besonders schwer haben, haben wir uns stark gemacht“, erläutert Julia Kasper. Hochschwangere Frauen oder Mütter mit wenigen Wochen oder Tagen alten Kindern, traumatisierte Familien, die durch den Krieg oder auf der Flucht Angehörige verloren haben, schwer verletzte Kinder, Frauen oder Männer: „Dafür brauchten wir ein Netzwerk“.
Julia Kasper macht sich daran, eines zu knüpfen. Mithilfe von Freunden und Bekannten, mit Gemeindemitgliedern von St. Wolodymyr, durch freundliches, aber stetiges Nachfragen bei Behörden, in Krankenhäusern oder bei Hilfsorganisationen. Aber auch durch gute Organisation: „Anträge, Bescheinigungen, Bankunterlagen, weitere Papiere, das hatte ich immer gleich dabei.“ In Deutsch und in Ukrainisch.
Für alle von ihr betreuten Flüchtlingen hat sie Aktenordner angelegt. Halbe Nächte lang wurden Schriftstücke kopiert und abgelegt. Die Wohnung von Julia Kasper war zeitweilig übersät mit Papieren: „Aber das macht es einfacher, konkret Hilfe für Geflüchtete organisieren zu können.“ Ob es sich dabei um Vermieter handelt oder um Krankenhäuser handelt, selbst beim unbedingten Willen zu helfen ist immer etwas Bürokratie dabei. Die Erfahrung von Julia Kasper: „Das gibt allen Beteiligten Sicherheit, den Geflüchteten wie den Helfenden.“
Sie schreibt an Eigentümer*innen von Ferienwohnungen, hakt bei Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften nach, legt eine Datenbank an, überzeugt Vermieter*innen von freien Wohnungen doch eine paar Monate an ukrainische Flüchtlinge zwischen-vermieten. „Dabei muss man aber auch schauen, wer zu wem und welche Wohnung passt“, meint Julia Kasper. Denn Menschen einfach in eine zufällig freie Wohnung zu pressen, kann weitere, durchaus schwerwiegende Probleme mit sich bringen.
War erstmal eine Unterkunft gefunden, musste der Transport organisiert werden, nicht selten auch ein paar Möbel. Wichtiger aber noch: „Es geht ja auch um die weitere Betreuung und Hilfen.“ Angefangen von anderen Ehrenamtlichen, die regelmäßig Flüchtlinge besuchen, bis hin zu psychologischer Hilfe und Krankenhausbehandlungen. „Das alles geht nur mit einem Netzwerk“, unterstreicht Julia Kasper.
Auch das Netzwerk Katholische Kirche nutzt sie. Für Hilfen, aber auch für Unterkünfte von geflüchteten Familien in leerstehenden Pfarrhäusern. Mittlerweile hat Julia Kasper aus gesundheitlichen Gründen ihr Engagement herunterfahren müssen. Das Netzwerk ist noch da – genauso wie vielfältige Kontakte zu den Geflüchteten, denen so geholfen werden konnte: „Da kommen immer wieder Nachrichten über das Handy rein.“ Momente, die berühren.
Rüdiger Wala